Chongqing   

die groesste Stadt der Welt (30 Mio.Einwohner !)


und der gigantische

  `Drei-Schluchten Staudamm`. 

 Ein Bericht

     
Chongqing am Jangtsefluss

 Südwestchinas Industriemetropole ist Anfang 2001 zur dreissig Millionen Einwohner zählenden «grössten Stadt der Welt» geworden, indem sie mit umliegenden Landgemeinden verschmolzen und direkt der Zentralregierung in Peking unterstellt wurde. Dank der Massnahme soll die Region besser mit den schwer zu lösenden Problemen fertig werden, die der Bau des Drei-Schluchten-Dammes am Jangtse verursacht. Zumindest im Kern der neuen «Grossstadt» ist ein enormer Modernisierungsschub ausgelöst worden.

Naehert man sich Chongqing - z.B.  mit dem Autobus aus dem ca. 100 km entfernten Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichzuan - so gleitet ein wunderschöner «Landschaftsfilm» an einem vorbei:  Leicht toskanisch anmutende hohe Hügel, über die sich Felder mit hellgelb blühendem Raps, mit zartgrün sprossendem Getreide und hin und wieder ockerfarbene brachliegende Äcker hinziehen; anstelle von Zypressen und Olivenbäumen wächst dazwischen allerdings, vor allem um stattliche Bauernweiler herum, Bambus in übermannshohen Büscheln.
Allerdings lange vor Erreichen des Fahrtzieles beginnt die Landschaft schon urbaner zu werden. Immer dichter stehen Fabrikbetriebe und dazugehörende Wohnkasernen beieinander, bis es unmöglich ist, zu unterscheiden, ob das noch eigenständige Ortschaften sind oder bereits die Aussenquartiere von Chongqing, der am Oberlauf des Jangtse- Stroms gelegenen Industriemetropole Südwestchinas. Dreissig Millionen Einwohner, gut viermal soviel wie die Schweiz, zählt Chongqing - damit ist es die grösste Stadt der Welt. Chongqings riesige Einwohnerzahl kommt dadurch zustande, dass der Nationale Volkskongress, Chinas Parlament, im Frühjahr 1997 die eigentliche Stadt Chongqing und die 43 stromabwärts in der Region des künftigen Drei-Schluchten-Stausees gelegenen ländlichen Distrikte und Kleinstädte, welche bis anhin zur südwestchinesischen Provinz Sichuan gehört hatten, zur «Stadtgemeinde Chongqing» zusammengefasst, aus der Provinz ausgegliedert und direkt der Pekinger Zentralregierung unterstellt hat.

82 000 Quadratkilometer misst das ganze Stadtgebilde jetzt, doppelt soviel wie die Schweiz also; dreizehn Millionen Einwohner zählen die Kernstadt und die unmittelbare Agglomeration, während sich die restliche Bevölkerung von siebzehn Millionen vorwiegend dem Jangtse entlang auf die aussenliegenden Distrikte verteilt. Grund für die direkte Unterstellung unter die chinesische Zentralregierung, ein Privileg, welches zuvor nur die Hauptstadt Peking sowie Schanghai und Tianjin genossen hatten, ist der 1994 begonnene Bau des gigantischen Staudammes in den sogenannten drei Schluchten des Jangtse Flusses.   
          

   

Chongqing wird nach der für das Jahr 2009 geplanten Fertigstellung dieses Projektes am oberen Ende des 600 Kilometer langen Drei-Schluchten-Stausees liegen und damit endlich auch für bis zu 10 000 BRT grosse Frachtschiffe erreichbar sein, was seine Attraktivität als Industriestandort stark verbessern wird. "Chongqing wird dann der «stolze Schwanz des Drachen» sein".  Man spielt damit auf den von Chinas Regierung 1990 abgesegneten Entwicklungsplan an, in welchem sie den Jangtse dem chinesischen Nationalfabelwesen und das hochentwickelte Schanghai im Mündungsgebiet des Stromes dem «Drachenkopf» gleichgesetzt hatte, von dem aus die wirtschaftliche Modernisierung ins chinesische Hinterland vordringen werde.

Vorerst wird Chongqing aber die Hauptlast der Nachteile aufgebürdet, die der Drei-Schluchten- Damm mit sich bringt. Laut Vizebürgermeister Gan liegen 80 Prozent des vom Stausee zu überflutenden Geländes im Gebiet der jetzt zu Gross- Chongqing zusammengeschlossenen Distrikte; gar 85 Prozent der insgesamt 1,2 Millionen vor dem Aufstauen umzusiedelnden Menschen haben hier ihren Wohnsitz. Über tausend Fabriken müssen disloziert und Dutzende von Ortschaften, zwei davon je so gross wie die politische Stadtgemeinde Zürich, an hoch über dem Jangtse liegenden Stellen neu aufgebaut werden. Zudem müssten Kläranlagen am besten gleich im Dutzend gebaut werden. Gegenwärtig lässt die Agglomeration Chongqing pro Jahr eine Milliarde Tonnen Abwasser unaufbereitet in den Jangtse fliessen - teilweise aus privaten Haushalten stammend, teilweise jedoch auch chemikalien- und schwermetallhaltige Industrieabwässer. Solange der Jangtse diese unbehindert Richtung Ozean spült, mag das für die stromabwärts wohnenden Anrainer bloss unangenehm sein. Falls Chongqing sein Abwasserproblem bis 2009 nicht lösen kann, wird sich jedoch der dann zumal aufgestaute See wohl schnell in eine stinkende Giftbrühe verwandeln.

Die Gründung von Gross-Chongqing vor Jahresfrist hat zumindest die Kernstadt in Aufbruchstimmung versetzt und dort einen enormen Modernisierungsschub ausgelöst. 
Eindrucksvoll ist, wie stark sich das Zentrum von Chongqing städtebaulich verändert hat. Die Innenstadt, welche von Anfang der neunziger Jahre an auf Grund der zunehmenden Automobilisierung tagtäglich an einem Verkehrsinfarkt zu ersticken drohte, ist durch eine im Eilzugstempo erbaute vierspurige Ringstrasse entlastet worden, die um die gesamte Halbinsel herumführt. Die Verwirklichung eines seit langem geplanten, aber wegen Geldmangels früher nicht durchführbaren Programms des sozialen Wohnungsbaus wurde in Angriff genommen. Auf der ganzen Halbinsel sind so viele neue Hochhäuser erbaut worden, dass das Panorama der Stadt, aus der Distanz des Jangtse-Südufers betrachtet, bereits ein wenig der Skyline von Hongkong ähnelt. Das Vorzeigestück der Stadterneuerung jedoch sind der Platz und die anliegenden Strassen um den «Jiefangbei» herum, den nach dem Bürgerkriegssieg der KP von 1949 im Zentrum von Chongqing als «Denkmal der Befreiung» errichteten siebenstöckigen Glockenturm. Das Gebiet ist zur Fussgängerzone erklärt worden. Es ist gesäumt von modernen Bürohäusern und Einkaufszentren, einige davon Wolkenkratzer, welche das Denkmal um ein vielfaches überragen.

Die  Entwicklung Chongqings als «stolzer Schwanz des Drachen» soll bald scharenweise investitionswillige ausländische Firmen anziehen, so dass die neuen Bürotürme dann spielend vermietet oder verkauft werden könnten. Aber wer braucht so viele Büros?

Offensichtlich sitzt die Stadtregierung etwas in der Klemme - am Bauen hindern kann und will sie die Immobilienfirmen nicht, weil diese sie von der «Bangbangjun» befreit haben: Diese wörtlich übersetzt «Armee der Stöcke» genannten Heerscharen zerlumpter landflüchtiger Bauern, die früher überall darauf warteten, gegen ein kleines Entgelt mit ihren Schultertragestangen aus Bambus Lasten vom und zum Flusshafen schleppen zu dürfen, sind - zumindest vorübergehend - fast vollständig aus Chongqings Strassenbild verschwunden; sie arbeiten jetzt auf dem Bau. Da die Stadt, wie alle traditionellen Zentren staatlicher Industrie, schwer an den Folgen der Reform maroder Betriebe leidet - bereits jetzt sind offiziell 200 000 Arbeitslose registriert, weitere 500 000 an sich «überschüssige» Arbeiter müssten laut Gan eigentlich entlassen werden -, unterstützt sie alles, was die soziale Lage entspannen hilft. Langfristig kann sich das aber volkswirtschaftlich verheerend auswirken; vielleicht sollte der «Schwanz des Drachen» den «Drachenkopf» nochmals etwas genauer anschauen - im Finanzdistrikt der Schanghaier Neustadt Pudong stehen gegen 50 Prozent von einhundert seit 1991 gebauten Bürowolkenkratzern leer, das dort investierte Kapital fehlt nicht nur anderswo, es wirft auch auf Jahre keinen Profit ab.